Wofür steht der „Manager-Sozialismus“ der PS ?

Analyse
Author
David Pestieau
PTB.be

"Mit einem Megafon in der Hand auf einer Demonstration wird man keine Erhöhung der niedrigsten Renten erreichen können", sagte der stellvertretende Premierminister der Sozialistischen Partei (PS), Pierre-Yves Dermagne, am 14. November in der Finanzzeitung De Tijd. Der Mann ist der Regierungschef der wichtigsten Linkspartei der Vivaldi-Koalition (zu der 4 große politische Strömungen gehören, wie die 4 Jahreszeiten: Liberale, Sozialdemokraten, Christdemokraten und Grüne, Anm. d. Red.). Wie auch der Rest seines Interviews offenbart diese Aussage sowohl die bisherige Entwicklung der belgischen PS als auch ihren grundlegenden Unterschied zu einer marxistischen Partei wie der PTB-PVDA.

Die Errungenschaften der Arbeitswelt, eine Geschichte der Kräfteverhältnisse

Diese Erklärung nimmt die Geschichte der Arbeiterbewegung in unserem Land nicht wahr. Alles, was die Arbeiterbewegung in diesem Land erreicht hat, ist durch ihr Verlassen auf die eigene Kraft zustande gekommen: durch Organisieren, Handeln und das Verschieben der Kräfteverhältnisse: Das Versammlungsrecht, das Streikrecht, das allgemeine Wahlrecht, der bezahlte Urlaub, der Acht-Stunden-Tag und die Vierzig-Stunden-Woche, die soziale Sicherheit... All diese Fortschritte wurden durch soziale Kämpfe erreicht, oft durch lange und harte Konflikte. Erst mit Flüstertüten, dann mit Megaphonen. "Die grundlegendsten sozialen und politischen Veränderungen haben sich unter dem Druck einer entschlossenen öffentlichen Meinung und nicht hauptsächlich durch das Abhalten von Wahlen und durch das Parlament vollzogen", schreibt Gita Deneckere, Professorin für Geschichte an der Universität Gent. Deshalb ist es gut, dass wir diese Sozialgeschichte haben und dass sich die Arbeiterbewegung in unserem Land nicht mit den Sirenengesängen der Passivität abgefunden hat.

Die großen Siege der Linken wurden also auf der Straße errungen, unter großen Anstrengungen und manchmal sogar unter Einsatz von Menschenleben. In jüngster Zeit ist es auch den Demonstrationen der Gewerkschaftsbewegung zu verdanken, dass das auf Punkten basierende Rentenprojekt der Regierung Michel, das auf eine Verlängerung der Karriere abzielte, zu Grabe getragen wurde. Dem Kampf der Weißkittel ist es zu verdanken, dass der erste Teil des Weißkittel-Fonds (400 Millionen Euro) auf Initiative der PTB-PVDA-Abgeordneten abgerufen werden konnten. Es ist auch dem jahrelangen Kampf der Gewerkschaften und der authentischen Linken zu verdanken, dass alle anderen Parteien gezwungen waren, die Forderung nach einer Mindestrente von 1.500 Euro netto auf die politische Tagesordnung zu setzen (auch wenn es sich im Regierungsabkommen vorerst um weitgehend leere Floskeln handelt).

Man muss kein Revolutionär sein, um zu wissen, dass, wenn die Rechten die Macht des Geldes auf ihrer Seite haben, die Linke nur dann handeln kann, wenn sie die Macht der Straße hat. Es ist klar, dass die Führungskräfte der PS nicht einmal mehr an ihre eigenen Statuten glauben, deren erster Punkt besagt, dass die PS eine Partei ist, „deren Ziel es ist, den Klassenkampf zu organisieren“. (1) Mit dem Einschlagen auf das Megafon will Pierre-Yves Dermagne gerade den Errungenschaften der Linken ein wesentliches Werkzeug nehmen, und wenn wir ihm folgen, wird dadurch schon der nächste Verzicht vorbereitet.

Den Kapitalismus verwalten oder für eine andere Gesellschaft kämpfen?

Pierre-Yves Dermagne beansprucht auch mit Stolz das Etikett des "sozialistischen Managers". Zum Beispiel erklärt er, dass er die Pandemie nutzen wird, um das Tabu der Telearbeit zu brechen.

Das Tabu, Multimillionäre und multinationale Konzerne zu besteuern, die sich weiterhin bereichern, indem sie die Krise ausnutzen, möchte er augenscheinlich nicht brechen. Dermagne verteidigt die Placebo-Steuer auf Wertpapierkonten und vergisst dabei, dass sie nur symbolischen Charakter haben wird (400 Millionen in Aussicht gestellt von den 500 Milliarden, die die großen Vermögen besitzen). Er vergisst auch, dass es sich um eine Nachbildung einer ähnlichen Steuer der schwedischen (Name der früheren Regierung aus liberalen Parteien und der N-VA , flämische nationalistische Partei, Anm. d. Red.) handelt und vor allem, dass sie naturgemäß die Familien von Milliardären wie den De Spoelberchs, den Colruyt und anderen Brüdern verschont. Als Arbeitsminister hebt er auch nicht das Tabu von Lohnerhöhungen auf, die durch das verbindliche Gesetz von 1996 blockiert wurden, und auch nicht die Notwendigkeit, einen Mindestlohn von 14 Euro pro Stunde für all jene unterbezahlten Heldinnen und Helden des Coronavirus (LagerarbeiterInnen, Haushaltshilfen...) zu erreichen, die in dieser Krise als so wesentlich angesehen wurden. Auch hört man nichts über das Tabu des Berufsendes, dessen aufeinanderfolgende Reformen durch die Regierungen Di Rupo (PS) und Michel (MR, Liberale Partei) das effektive Renteneintrittsalter für viele Corona-Helden und Heldinnen, von Krankenpflegerinnen bis zu Berufskraftfahrern, zurückgedrängt haben. Ein Kampf, der schließlich vom PS-Präsidenten Paul Magnette aufgegeben wurde, als er erklärte, die Rückkehr des Rentenalters auf 65 Jahre sei „ein schlechter Wahlkampfslogan“. (RTBF, Le Grand Oral, 3/10/20)

Dies sind keine Kompromissen der Art, die Gewerkschafter nach einem Streik erzielen können. Es geht darum, den allgemeinen Rahmen (der Marktwirtschaft) zu akzeptieren und sich als der beste Manager eines (kapitalistischen) Systems in der Krise zu behaupten.

In Wirklichkeit reproduziert Pierre-Yves Dermagne, wie andere PS-Führer, die gleichen Mechanismen der Vorangegangenen, die sich in die Kompromisse des „Manager-Sozialismus“, des Pragmatismus des Alltags, mit hineinziehen gelassen haben. Es ist dieser Sozialliberalismus, der in den letzten Jahrzehnten in Europa so viel Schaden angerichtet hat: Privatisierung der öffentlichen Dienste, Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, Zerstörung des Planeten durch umweltvergiftende multinationale Konzerne, Sparmaßnahmen bis hin zur Ausgrenzung der Arbeitslosen.

Die Linke braucht einen ganz anderen Weg, wenn sie sowohl den Neoliberalismus von Macron und Merkel als auch die neue extreme Rechte von Le Pen, Trump, Salvini und Van Grieken (Vorsitzender der faschistischen Partei VB, Anm. d. Red.), erringen will. Und wenn sie morgen einige Siege bekommen wollen.

Wenn es nicht möglich ist, sozialen Fortschritt ohne ein Kräftegleichgewicht vor Ort zu erreichen, dann ist es auch nicht möglich, die Linke voranzubringen, ohne als Kompass, als Ziel, einen grundlegenden Systemwechsel zu haben, mit dem diese kapitalistische Gesellschaft, die sich in den Dienst der Reichsten, der Finanzwelt und der multinationalen Konzerne stellt, endet, ohne die Aussicht darauf zu haben, was wir als authentische Linke den Sozialismus 2.0 nennen.

Das ist heute für die Linke der Kern der Debatte: den Kapitalismus begleiten und verwalten oder das System grundlegend in Frage stellen? Wir wählen die zweite Option. Und wir rufen dazu auf, mit all jenen zusammenzuarbeiten, die dem Sozialismus seine wirkliche Bedeutung geben wollen: die einer Gesellschaft, in der die Bedürfnisse von Mensch und Natur vor dem Profit einer winzigen Minderheit stehen.

(1) https://www.ps.be/Content/Uploads/STATUTS%20PS.pdf

 

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