Rede von Raoul Hedebouw, Vorsitzender der Arbeiterpartei Belgiens (PTB-PVDA) auf ManiFiesta 2023, das Fest der Solidarität

Analyse
Author
Raoul Hedebouw
ptb.be

Liebe Freunde, liebe Genoss*innen,
Wie schön, dass wir uns anlässlich dieser wunderbaren Ausgabe von ManiFiesta wiedersehen. Das Wetter ist großartig, ebenso wie all die Menschen um uns herum. Wir sind hier heute mit mehr als 15 000 Menschen. Zunächst möchte ich allen Freiwilligen danken, die dieses Fest möglich machen.

Mehr als 2000 Menschen sind dafür aus dem ganzen Land zusammengekommen. Sie setzen sich mit ihrer Zeit und Energie ein beim Aufbau, am Eingang, für die Organisation der Konzerte und Aktivitäten oder einfach hinterm Tresen einer Bar. Das ist wichtig. Einige von ihnen sind schon seit mehreren Tagen hier. Kein anderes Festival ist so sehr auf das Engagement von Freiwilligen angewiesen. Dieses Engagement ist die DNA unseres Festivals und wir können stolz darauf sein. Ohne sie gäbe es schlichtweg keine ManiFiesta. Deshalb bitte ich euch um einen riesigen Applaus für alle freiwilligen Helfer von ManiFiesta. Ich freue mich wirklich sehr, heute bei euch zu sein, zusammen mit Tausenden von Menschen, die die Welt verändern wollen. Und wir müssen viele sein, liebe Freunde, denn denen da oben in der Rue-de-la-Loi scheint es sehr schwer zu fallen, die Menschen überhaupt zu hören. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht schirmen die Fenster im Parlament sie zu gut vom Lärm ab. Stimmt, sie sitzen ja in ihrem Elfenbeinturm. Und Elfenbein isoliert doch ziemlich gut, oder? Aber gut, sie versuchen, so zu tun, als würden sie zuhören. Am 21. Juli, dem Tag vor seiner Abreise in den Urlaub, leistete sich Premierminister De Croo eine ganze Seite in allen Zeitungen, um mitzuteilen, "dass er den Menschen zuhören werde". Und die flämische Regierung unter Jan Jambon, die behauptet, "was Flandern selbst macht, macht es besser", hat nur Ohren für überteuerte Beratungsfirmen. Dabei wussten sie nicht einmal mehr, was das alles gekostet hatte. Eine Milliarde? 400 Millionen? 200 Millionen? Keiner hatte mitgerechnet. Nein, liebe Freunde und Kameraden, dass die nicht zuhören, hat nichts mit einem Hörproblem zu tun. Es handelt sich vielmehr um ein Klassenproblem. In Belgien hören unsere Minister nur auf die obersten Kreise der Gesellschaft, die wohlhabende Elite und multinationale Konzerne wie Engie und Shell, die weiterhin Superprofite auf unserem Rücken machen. Die können sich erlauben, Minister und ihr Kabinett direkt anzurufen. Und davon haben die Menschen allmählich wirklich genug. Aber ihr wisst es ja selbst: PTB, die belgische Arbeiterpartei, ist keine Partei wie jede andere. Wir geben kein Vermögen für Berater aus, gehen nicht zu Empfängen der Arbeitgeber, um zu erfahren, was wir tun sollen, und kaufen keine Anzeigen in den Zeitungen. Wir hören euch zu. Wir hören den Menschen zu. 100 000 Personen werden wir befragen, um ihre Meinung zu erfahren. Und wir werden ihre Antworten in Aktionen umsetzen. Das ist unsere Art, Politik zu machen. Deshalb haben wir in diesem Monat "Die große Umfrage" gestartet. Wir möchten mit 100 000 Menschen in Wohnvierteln und Unternehmen in Flandern, Brüssel und der Wallonie diskutieren. Wir wollen mit ihnen darüber diskutieren, was wir in der Gesellschaft ändern müssen. Wir werden über Steuergerechtigkeit, Kaufkraft, die Wohnungsnot oder die Privilegien von Politikern sprechen... Wir wollen wissen, was Jeder und Jede meint, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickeln soll. Wir haben die Umfrage erst vor zwei Wochen gestartet und schon 10 000 Antworten gesammelt. Wir werden mit unserem Kampagnenbus durch ganz Belgien fahren. Vor allem aber stellen wir uns dieser unglaublichen Herausforderung gemeinsam mit all unseren Mitgliedern und Unterstützern. Wir zählen auf euch, selbst an der Umfrage teilzunehmen, aber auch, uns zu helfen, eure Geschwister, Schwiegereltern, Kollegen, Nachbarn, sogar euren Ex um deren Meinung zu bitten. Nur mit eurer Hilfe wird es uns gelingen, 100 000 Menschen zu erreichen. Was haben wir mit den Antworten vor? Wir werden sie nutzen, um die Prioritäten unserer Wahlkampagne zum 9. Juni festzulegen. Da spreche ich also von Prioritäten, aber wie ihr wisst, sind die Prioritäten der PTB in Wirklichkeit Kampfziele. Im Parlament, aber auch und vor allem außerhalb des Parlaments, wird eine starke belgische Arbeiterpartei dringend benötigt. Indem sie den Kampf anführt. So kommen die vielen Themen auf die politische Agenda in Belgien. Welche Partei hat z. B. den Krankenpflege-Hilfsfond für die dringend nötige Finanzierung im Pflege-Sektor erkämpft? PTB, die belgische Arbeiterpartei. ... die illegalen Rentenzuschläge von Politikern aufgedeckt? PTB, die belgische Arbeiterpartei. ... die Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie durchgesetzt? PTB, die belgische Arbeiterpartei. ... die Besteuerung von Übergewinnen? PTB, die belgische Arbeiterpartei. ... die Erhöhung der Mindestrente? PTB, die belgische Arbeiterpartei. ... der Kampf gegen das Anti-Demonstrationsgesetz, eine wahre Bedrohung für den sozialen Widerstand? PTB, die belgische Arbeiterpartei. Gemeinsam mit den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft konnten wir diese Punkte jedes Mal auf die politische Agenda bringen und konkrete Veränderungen durchsetzen. Thierry Bodson [FGTB, sozialdemokratischer Gewerkschaftsbund] und Fatiha Dahmani [CSC, christdemokratischer Gewerkschaftsbund] haben gerade über den Kampf gesprochen, der uns bevorsteht. Der Kampf gegen die Sparpolitik der Europäischen Kommission, für echte Lohnerhöhungen und für unsere demokratischen Rechte. Auch hier wird die PTB ihre Rolle spielen. Ja Genossinnen und Genossen, wir werden weiterhin Veränderung bewirken. Weil wir es wagen, ausgetretene Pfade zu verlassen. Weil wir an die Kraft der Kämpfe der Menschen an ihren Arbeitsplätzen und in den Stadtvierteln glauben. Und deshalb haben die da oben so viel Angst. Die Wahrheit ist, liebe Freunde, gemeinsam können wir Veränderungen erzwingen. Die Welle des Widerstands wird immer größer. Wir sind Teil einer wachsenden Bewegung. Diese Welle kann die Gesellschaft verändern. Es ist an der Zeit, sie stärker zu machen. Wir werden jede*n brauchen. Jung und Alt. Wallonen, Brüsseler und Flamen. Arbeiter, Angestellte, Selbstständige, Rentner und Arbeitslose. Männer und Frauen. In Belgien oder anderswo geboren. Wir werden jede*n brauchen, um diese Gesellschaft im Kampf zu verändern. Lasst uns mal eben über die dringenden Veränderungen sprechen. Wenn es etwas gibt, wo in unserem Land schnellstens Abhilfe geschaffen werden muss, dann sind es die Lebensmittelpreise. Die Preise für Obst, Nudeln, Reis und Gemüse. Es kann nicht sein, dass wir immer mehr für diese Produkte bezahlen, und das in Belgien nun schon seit einigen Jahren. Fast 15 % Anstieg in einem Jahr. Elisa aus Merelbeke war am vergangenen Wochenende einkaufen. Die großen Einkäufe am Anfang des Monats für die ganze Familie. Sie schickte mir ihren Kassenbon: 189 Euro. Wir alle spüren es, wenn wir einkaufen gehen: Es wird unbezahlbar. Die Preise für sämtliche Lebensmittel steigen rasant, während die Profite der multinationalen Konzerne im Agrobusiness explodieren. Und was tut die Regierung? Nichts. Keine Preisdeckel. Nada. Im Gegenteil. Schaut euch die allerletzte Zeile auf dem Kassenbon an, ganz klein, ganz am Ende: 11 Euro allein für die Mehrwertsteuer. Wir brauchen dringende Sofortmaßnahmen, um den Preis für die Waren in unserem Einkaufswagen zu senken. Lasst uns die Mehrwertsteuer auf alle Lebensmittel wie Milch, Fleisch, Brot oder Nudeln auf 0 % senken. So sieht der PTB-Vorschlag aus, mit dem wir jedes Mal, wenn wir einkaufen, 5, 10 oder 15 Euro sparen könnten. Und es soll uns niemand sagen, dass kein Geld vorhanden ist, um eine solche Maßnahme zu finanzieren. Schließen wir die Steuerschlupflöcher, die es den Superreichen ermöglichen, sich steuerfrei die Taschen zu füllen, und geben wir den Menschen die Kaufkraft zurück. Wie soll man das bezahlen? Ich werde es euch sagen. Wenn heute Superreiche Aktien aus ihren Anteilsunternehmen verkaufen und damit Gewinn erzielen, zahlen sie exakt 0 Euro Steuern. Nichts! Nada! Rein gar nichts. Wenigstens einen Klacks? Noch weniger als das. 0,00 Euro. Wusstet ihr, dass im letzten Jahr mehrere Milliardäre Kapitalgewinne von Hunderten Millionen Euro gemacht haben, ganz ohne zu arbeiten? Und sie haben exakt null Euro abgeführt! Könnt ihr euch das vorstellen? Jedes Mal also, wenn ihr mit eurem Einkaufswagen an der Kasse vorbeigeht, zahlt ihr Mehrwertsteuer. Aber Milliardäre, die hunderte Millionen an Kapitalertrag machen, die zahlen überhaupt nichts. Selbst in Luxemburg gibt es so ein Steuerprivileg nicht. Das ist eine einzigartige belgische Spezialität! Wie kann man das rechtfertigen? Wisst ihr, wie viel dieses Steuerschlupfloch die Staatskasse kostet? 4 Milliarden pro Jahr. Und dann hört man von den rechten Parteien, dass kein Geld für eine Steuerreform vorhanden sei. Es sind wahrscheinlich dieselben Leute, die erklären werden, dass eine Mehrwertsteuer von 0 % unmöglich ist. Die Realität ist, dass Belgien eine Steuerhölle für Arbeitnehmer und ein Steuerparadies für Superreiche ist. Das muss sich ändern. Es ist an der Zeit, dass wir für die Lebensmittel im Einkaufswagen weniger Steuern zahlen als der Milliardär auf seine Kapitalerträge. Wir hören auch, wie Regierungsparteien, die sich als links bezeichnen, unser Thema der Steuergerechtigkeit aufgreifen. Aber sie vergessen zu erwähnen, dass die Steuerbefreiung für Aktiengewinne so ein Steuerschlupfloch ist, das 1991 von einer Regierung aus sozialistischen Parteien, PS und Vooruit, der CD&V und den Engagés beschlossen wurde. Sie vergessen zu erwähnen, dass sie seit 30 Jahren fast ununterbrochen an der Regierung sind. Wir hören oft, wie sie sich über die Ultimaten der Rechten und insbesondere von Georges-Louis Bouchez beschweren, aber die Frage ist: Wo sind denn ihre eigenen Ultimaten? Wo sind ihre eigenen roten Linien? Wie kommt es, dass in Belgien immer die Ultimaten der Rechten durchkommen? Wie kommt es, dass eine rechte Partei scheinbar alles blockieren kann, aber vier sogenannte linke Parteien nichts Ernsthaftes durchsetzen können? Man bekommt nichts als Ausreden zu hören. Deshalb haben wir in den letzten 30 Jahren in Belgien einen solchen sozialen Rückschritt und eine solche Steuerhölle für die Arbeitnehmer erlebt. Ich sage es hier und heute: Genug ist genug. Tax The Rich! Auch in der Politik sitzen die Profiteure. Und zwar quer durch alle Parteien. Das muss ein Ende haben. Ihr habt gehört, dass aufgrund der Enthüllungen der PTB über die illegalen Pensionszuschläge für Parlamentarier alle versprochen haben, dass sie die Regeln ändern und das Ganze stoppen werden. Aber es wehren sich noch immer Einige dagegen. Manche laut, wie Siegfried Bracke, der ehemalige N-VA [rechtsnationalistische flämische] Vorsitzende der Kammer, der im Sommer sagte, dass er nichts zurückzahlen und alle Vorteile behalten wolle. Aber viele still und leise, indem sie alle Veränderungen, die wir vorschlagen, heimlich bremsen. Ich sage absichtlich, dass diese Kultur der Profiteure in der Politik "alle" Parteien betrifft. Auch die rechtsextreme Partei Vlaams Belang. Was tat der Vlaams Belang, als die Entscheidung getroffen wurde, Politikern Pensionszuschläge zu gewähren? Sie haben einfach nur zugestimmt, meine Damen und Herren! Was denken die Politiker des Vlaams Belang darüber, dass sie 6000 Euro im Monat verdienen? Kein Problem. Ganz einfach: die stecken sich das Geld in die Tasche. Wenn man wie bei allen traditionellen Parteien 6000 Euro im Monat kassiert, wenn man die Superpensionen und fetten Abgangsprämien der Parlamentarier normal findet, dann kann man auch in einem Maserati für 100.000 Euro fahren wie der Faschist Filip Dewinter... Deren Slogan sollte nicht "Unser Volk zuerst", sondern "Unser Geldbeutel zuerst" lauten. Sprecht mit euren Kollegen, Freunden oder eurer Familie darüber. Der Vlaams Belang ist nicht gegen das System, sondern der Vlaams Belang ist ein Teil davon. Die sind selbst Profiteure. Deren Ziel ist es vor allem, das Volk zu spalten. Um ihre eigene Elite zu verteidigen, wollen sie auch das Land spalten. Wer für den Vlaams Belang stimmt, stimmt für die Spaltung des Landes. Das heißt, für Spaltung unserer Sozialversicherung, unserer Renten und unseres Gesundheitswesens zu stimmen. Wir werden das 2024 nicht zulassen, liebe Freunde. Wir sind für die Einheit unserer Klasse, der Arbeiterklasse. Schauen wir uns hier bei ManiFiesta um. Es gibt so viel Vielfalt. So viele schöne Unterschiede und unterschiedliche Akzente. Gleichzeitig spürt man aber auch die Kraft der Einheit. Wir haben eine Botschaft für alle Parteien, die die Abspaltung wollen, die N-VA und den Vlaams Belang, hier in Ostende: "Wij zijn één, nous sommes un, We Are One, wir sind eins!" Wir werden diese Einheit auf nationaler, auf belgischer Ebene brauchen. Aber auch auf internationaler Ebene. An dieser Einheit bauen wir hier bei ManiFiesta mit Menschen aus ganz Europa und der ganzen Welt. Durch Zusammenhalt und Kampf werden wir die Welt verändern. Hoffnung entsteht aus dem Widerstand, aus dem Kampf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen hier und anderswo in Europa, aus dem Kampf der Völker des Südens, aus dem Kampf der Jugendlichen. Es sind die jungen Menschen, an die ich mich heute besonders wenden möchte. Glaubt nicht denjenigen, die euch sagen, dass kämpfen nichts bringt, dass es unrealistisch ist, dass es utopisch ist, von einer anderen Welt zu träumen. Ja, wir träumen von einer anderen Welt. Ja, wir sind zu Recht empört über Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. Ja, wir sind zu Recht empört, wenn wir sehen, dass Familien, Mütter und Kinder in den Wüsten Afrikas sterben, weil sie von einem anderen Leben träumen. Wir sind zu Recht empört, wenn wir sehen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Wir leben alle auf demselben Planeten. Die Klimakrise wird dazu führen, dass noch mehr Millionen von Menschen aus ihren Ländern fliehen müssen. Die imperialistischen Kriege nehmen weltweit immer mehr zu. Und das aus einem einzigen Grund: weil sich das vorherrschende Wirtschaftsmodell, der Kapitalismus, nur um eines dreht: Geld, Geld und nochmals Geld. Aber wir haben auch Grund zu hoffen. Und Grund zu kämpfen. Ihr habt gerade Chris Smalls gehört, der zusammen mit seinen Kameraden die erste Gewerkschaft in den USA in einem der größten multinationalen Unternehmen der Welt aufgebaut hat: bei Amazon! Über zwei Jahre lang kämpften er und seine Kollegen gemeinsam gegen den Giganten. Gemeinsam traten sie gegen den zweitreichsten Mann der Welt, Jeff Bezos, an, der unter keinen Umständen etwas von einer Gewerkschaft wissen wollte. Trotz Druck und Unterdrückung hielt Chris Small durch nach dem Motto: "Der Kampf ist ein Marathon, kein Sprint". Bis sie im letzten Jahr schließlich gewannen! "Sie wussten nicht, dass es unmöglich war, also haben sie es getan", sagte einmal der Schriftsteller Mark Twain. Oder wie Che Guevara sagte: "Vor allem solltet ihr immer in der Lage sein, jedwede Ungerechtigkeit, die gegen irgendjemanden auf der Welt begangen wird, tief in eurem Inneren zu spüren. Das ist die schönste Eigenschaft eines Revolutionärs." Wir reichen der Jugend die Hand. Gemeinsam bauen wir die Hoffnung auf eine bessere Welt auf, hier bei ManiFiesta und darüber hinaus. Nehmt euren Platz in unserer breiten Bewegung ein. Nehmt euren Platz in unserer Partei ein. Dieses Jahr wird für die Zukunft unseres Landes und unserer sozialen Bewegung von entscheidender Bedeutung sein. Schließt euch der Welle des Widerstands an. Vielen Dank an alle, ManiFiesta!
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